Freitag, 6. August 2010

Soziologische Abhandlung über HGich.T-Hörer



HGich.T ...wer?
Das ist eine Band, die wie keine andere dieses Jahr polarisieren wird.

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HGicht.T - steht das eigentlich für "hageldicht"? - ist ein Kollektiv mit einer unbestimmten Anzahl von Mitgliedern. Die Band macht...äh, ja, was macht sie denn genau für Musik? Ich würde sagen...Euro-Trance-Elektro-Trash-Punk. Oder: Dada-Musik des 21. Jahrhunderts. Da die einen die Musik der Band lieben, die anderen aber, klar, hassen, wollte ich gerne wissen, welche Leute zu der ersteren Kategorie gehören.
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Doch zunächst: wie bin ich eigentlich auf diese Band gestoßen? Alles fing mit einem Artikel "Spektakel aus Geschrei" (link!) der Pop-Intellektuellen-Zeitschrift Spex, der in der September-/Oktober-Ausgabe (Jochen Distelmeyer auf dem Titel, link!) erschien. Das erste, was sofort auffällt, ist das wohl beabsichtigt eklige Foto zu dem Text mit der orangenen Müllmensch-Weste und dem Teelöffel, das er gerade zum Munde führt. Darauf, das soll wohl die Blechschatulle in der anderen Hand und der Kater / die Katze daneben andeuten: Katzenfutter. Und zur Vollendung der Geschmackslosigkeit trägt diese Person auch eine Nicht-Frisur, an den Seiten kahlrasiert, schwarz gefärbt hochgegelt. Abgebildet war "Tutenchamun", der "Sänger" von HGich.T. Im Artikel steht etwas über ein sogenanntes Youtube-Phänomen und über krasse Live-Performances und über die Kunst-Studiums-Vergangenheit mancher HGich.T-Mitglieder.
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Irgendwann, ein paar Monate später läuft während Tracks, einem SPEX in der Thematik oft ähnelnden Pop- und Untergrundkultur-TV-Magazin auf Arte, ein völlig deppert aussehendes Musikvideo zu "Tutenchamun" (heißt so wie der Frontmann). Quälende zwei Minuten lang geht der Ausschnitt aus dem insgesamt siebenminütigen Anti-Musikvideo. Videoclip: schrecklich. Musik: noch schrecklicher! Als ob man den in den 90ern überall grassierenden Eurodance-Fieber - in tausendmal schlechter - kopieren wollte.
Am schlechtesten jedoch: der Text zum Lied:

wenn die polizei vorbei fährt, ja! ja
dann halt ich erst mal an, ja! ja
nehm ne ziese aus der schachtel, ja! ja
und spiel auf harmlos nach schema f, ja! ja
[...]
meine name ist garfield, ja! ja
ich war schon immer da, ja! ja
und jetzt bin ich auch da, ja! ja
und du bist auch da, ja! ja
wir sind beide da, ja! ja
zusammen in the universe ja! ja
zusammen mit der polizei, ja! ja
[...]

Schwer zu ertragen, weil das alles nicht mal lustig ist. Alexander Marcus' "Papaya" hingegen ist Frasier (link!)-Niveau!
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Viele Monate später sehe ich auf LAUT.de ein neues rezensiertes Album mit einem sehr denkwürdigen Titel: Mein Hobby: Arschloch (link!). Daneben der Bandname: HGich.T - natürlich. Nochmal daneben die Bewertung: 1 von 5 Punkten! Wow, cool! Endlich mal jemand meiner Meinung! Sofort lese ich die Plattenkritik. Am Anfang formuliert es der Rezensent Hannes Wesselkämper so: "Sich von musikalischer Seite aus an Hgich.T anzunähern, ist eine mehr als zweifelhafte Angelegenheit. Ich lasse lieber gleich die Katze aus dem Sack: Dieses Album enthält die schlechteste Musik, die ich je gehört habe!"
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Später erwächst daraus der Plattenkritik im zugehörigen LAUT.de-Forum eine hitzige Debatte um die Relevanz oder Nutzlosigkeit von HGich.T allgemein und von den Tracks aus dem Debütalbum Mein Hobby: Arschloch (2010) im Speziellen. Zwar kokettieren HGich.T mit Verhaltensweisen so mancher Klischee-Prekariats-Angehöriger, vielleicht ist die Überzeichnung zu genial, um nicht wahr zu sein, jedoch ist das schon sehr anstregend. Musikalisch sowieso. Und die jenige Forum-Schreiberlinge, die pro HGich.T sind, argumentieren u.a. damit, dass man die Musik nur im ultrabesoffenen Zustand ertragen könne, man aber dafür dann super unterhalten werden würde. Wirklich?

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So weit, so Ausgangslage. Jetzt wollte ich wirklich wissen, was für Menschen HGich.T gerne hören. Weil ich dieses Phänomen einfach nicht verstehe. Dazu habe ich mir auf LAST.FM (link!) die Liste der "aktuellen Top-Hörer" von HGich.T - Stand: 28. Juli 2010, ca. 15:00 Uhr - angeschaut. Und die jeweils acht meistgehörten Bands und KünstlerInnen dieser Top-Hörer herausgezogen.
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Ich werde mir sicherlich kein Urteil über den Musikgeschmack der einzelnen Leute erlauben. Es war jedoch schon erstaunlich, allen Erwartungen zum Trotz nicht nur Elektro-Punk-Bands wie Egotronic, Mediengruppe Telekommander oder Schwefelgelb aufzufinden. Oder Komiker und Trash-Gestalten wie Helge Schneider und der zuvor erwähnte Alexander Marcus. Oder typische Rave-Studenten-Bands wie Deichkind oder Frittenbude.

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Was kann man bei HGich.T zunächst feststellen? Natürlich sind die allermeisten Top-Hörer aus Deutschland. Außerdem hält sich die Geschlechter-Verteilung in etwa die Waage: so sechzig (männlich) / vierzig (weiblich). Dann, die erste kleine Überraschung: die meisten Top-Hörer sind erstaunlich jung, viele davon unter 20, der jüngste User ist gar 15 Jahre alt! Kann man vielleicht sagen, dass HGich.T die neue Rebellions-Musik ist, um die Eltern so richtig zu schocken? Dient die Musik und deren Attitüde als eine Art Ventil aus den Problemen während der quälenden Pubertät?
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Dann haben viele HGich.T-Top-Hörer merklich absurde User-Namen:
"AsbestTwin", "teeeeee", "Legosaurus", "DonutPanic", "Gedankenhaufen" oder, äh, ja, "Inkontinenzius". *schenkelklopf* Typisch und schön punkig. Dann gibt es aber auch andere Namen, die auf einen von Dark Wave, Hardcore, Metal und deren jeweils teilweise härtesten Spielarten sozialisierten Musikgeschmack verweisen: düstere, brutale, blutige Assoziationen rufen die User-Nicknames hervor.

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Kommen wir zu den in der Recherche aufgefundenen Bands. Alles ohne (Zahlx) steht für eine einfache "Nennung". Diese Bands lassen sich in die unterschiedlichsten Genre-Kategorien einteilen. Ich fange an mit...
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1) Mainstreamisierter Indie / Rock
Hier sind entweder Bands vertreten, die zwar bei Indie-Labels unter Vertrag sind, aber saumäßig beliebt und bekannt sind. Zum Beispiel The White Stripes (2x in meiner Recherche aufgetaucht), The Whitest Boy Alive (2x), Die Goldenen Zitronen.
Oder Major-Bands und -Künstler/innen, bevorzugt deutschsprachige, die für "indie" gehalten werden, was sie aber kaum sind: Tocotronic (4x), Yann Tiersen (2x!), Gorillaz (2x), Element Of Crime (2x), The Notwist (2x), Phoenix (2x), Beatsteaks (2x), die nicht mehr existierenden Muff Potter (2x), CocoRosie, Kasabian, Feist, Mando Diao, uvm.
Oder Klassiker, also Rockbands und -künstler/innen, die in den 60er bis 80ern Meilensteine herausgebracht haben: The Beatles (3x), Johnny Cash (2x), Ramones (2x), Pink Floyd (2x), The Doors (2x), Joy Division, Jimi Hendrix, etc..
Oder 90er-Alternative-Rock-Helden wie Die Ärzte (4x), die mittlerweile "indie" seiende Band Radiohead (3x), Placebo (3x), Red Hot Chili Peppers (3x), Nirvana (2x), Queens Of The Stone Age (2x), Portishead, Pearl Jam.
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2) Sensibelchen-Indie- und Post-Rock
Hier geht es um den "wahren" Indie, falls man das überhaupt sagen. Pitchfork-Bands, eher mittel- bis kaum bekannte Bands, die Indie Pop oder Rock, Lo-Fi/Noise, Singer/Songwriter-Mucke, Folk(pop/rock), Postrock, oder sonst etwas spielen. Zum Teil auch eher still. Neutral Milk Hotel (2x), Iron & Wine (2x), Voltaire, Sigúr Ros, Beirut, Au Revoir Simone, Bonnie "Prince" Billy, Laura Veirs, Sufjan Stevens, Fleet Foxes, Drive-By Truckers, usw..
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3) "Intelligent" Electro
Electronica, vielleicht experimentell, vielleicht poppig, Minimales, Dubstep und Intelligent Techno: Aphex Twin (2x), The Knife (2x), Paul Kalkbrenner, Oliver Koletzki, Zeebox, Pantha Du Prince, Mount Kimbie.
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4) Nicht elitärer Electro
Techno, Goa, House, Großraumdissen-Dance: Scooter (2x), David Guetta, Jeff Mills.
Electro-Punk / Electro-Trash: Deichkind (nur einmal vorgekommen!),
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5) HipHop
Erstaunlich, aber wahr: K.I.Z. wurden von allen HipHop-Acts am meisten genannt, nämlich jedoch ist ihr Humor anderer Natur, teilweise eher subtiler Art. Sonst: Prinz Pi (2x), Dendemann, Eminem,
Badboy-Rap wie Massiv, Alpa Gun, Kollegah, uvm.
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6) Mainstreamiger Punk
Also (Pop-)"Punk" auf Majorlabels, Nu Metal, Emo-Pop. Bad Religion (2x), The Offspring, Billy Talent
Nu-Metal-Bands wie System Of A Down (6x!!!), Korn (2x), Linkin Park (2x), Bullet For My Valentine, Hollywood Undead, die natürlich alles andere als "metallisch" sind, werden oft gehört.
Pseudo-Emo wie Fall Out Boy, 30 Seconds To Mars.
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7) Mainstreamiger Metal
Längst etablierte, über den Underground hinaus bekannte metallene Bands wie Metallica (5x), In Flames (2x), Iron Maiden (2x). Judas Priest, und so.
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8) Richtig hartes Zeug
Black Metal, Death Metal, Grindcore, und vieles mehr, was bis an die Schmerzgrenze geht. Sachen, die der Mainstream in Sachen Metal-Musik so nicht kennt: Immortal (2x), Kreator (2x), Amon Amarth, Dying Fetus, Finntroll, Behemoth, Belphegor, Six Feet Under, uvm.
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9) Apokalyptische Musik
Goth, Industrial, Dark Folk / Neue Folklore, Operetten-Metal. Und hierbei führt der Neue-Deutsche-Härte-Export schlechthin Rammstein haushoch mit acht Nennungen! Sowieso die am meisten gehörte Band der HGich.T-Hörer in meiner Recherche. Dahinter: Samsas Traum (3x), Die Apokalyptischen Reiter (2x), Eisregen (2x), Marilyn Manson (2x), In Extremo (2x), Mindless Self Indulgence (2x), Goethes Erben, KMFDM, Deine Lakaien, Welle:Erdball. Auch der apokalyptische Folker Current 93, der oft der Anbiederung an "rechtem" Scheiß bezichtigt wird, wird auch gehört (2x).
Und so Sachen wie Within Temptation, Nightwish, Evanescence, HIM und so.
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10) Kerniges
Hardcore, Underground-Punk, (Scr)E(a)mo: Converge (2x), GG Allin, Underoath, uvm..
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11) Experimentelles / Avantgarde / Jazz / Klassik
Tom Waits, Philip Glass, Bruno Nicolai, usw.
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12) Dub / Reggae / Ska
Bob Marley, EZ3kiel, Ska-P, uvm.
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13) Pop und kontemporärer R'n'B
Lady GaGa, Ke$ha, Britney Spears, Beyoncé, Robbie Williams, Rihanna, Madonna, Owl City. Jeweils einmal genannt, ich scherze nicht!!!
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14) HAHA
Lustiges, Comedy, Kurioses: We Butter The Bread With Butter (2x), Knorkator, Helge Schneider, Frank Zander.
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