Dienstag, 23. März 2010

Phänomene der Popmusik Vol.2


[Schlechte Zeichnung "Stromae Danse" (c) 2010 by SR / Sray ]

Diesmal: Alors on l'achète! - Also kaufen wir uns das! Stromae und der erste komplett französischsprachige Nummer-1-Hit in den deutschen Singlecharts seit 22 Jahren.

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"Alors on danse" ("Also tanzen wir" oder "Lass uns tanzen") des belgisch-ruandischen Rappers und Produzenten Stromae ist nun die zweite Woche in Folge auf Platz 1 der deutschen Media-Control-Charts bei den Singles-Verkäufen. Davor war das ungleich teutonischere "Geboren um zu leben" von Goth-Rocker Unheilig die meistverkaufte Single in D-Land.
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Französischsprachige Popsongs? Wenn man so Gestalten wie Jacques Brel, Patricia Kaas, Mireille Mathieu, Charles Aznavour oder Édith Piaf ("Non, Je Ne Regrette Rien") ausschließt, die eher Chanson singen/sangen, fällt mir z.B. Carla Brunis "Quelqu'un M'a Dit" oder Noir Désir mit "Le Vent Nous Portera" als Popsongs ein - waren jedoch bekannter als erfolgreich in Deutschland.
Der Rapper MC Solaar war mal mit drei Singles in den untersten Plätzen der deutschen Singlecharts, die tolle quirlige Sängerin Camille hingegen nicht mal mit einer. Ich muss an Serge Gainsbourgs und Jane Birkins "Je t'aime... moi non plus" denken, oder an Alizée mit "Moi... Lolita". Und an Khaled mit "Aïcha", jedoch mit arabischem Vers.

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Keines der erwähnten Songs war jemals in D-Land auf Platz 1. Solch ein großer Erfolg eines Songs, welcher komplett auf Französisch ist, war zuletzt der Sängerin France Gall vergönnt. Für den Eurovision Song Contest (damals hieß er ja noch was mit"Eurovision" und "Grand Prix" im Titel) gewann sie als 18-Jährige im Jahre 1965 für das angetretene Land Luxemburg mit "Poupée de cire, poupée de son" (Übersetzt heißt das "Wachspuppe, Klangpuppe") den ersten Platz. In Deutschland wurde der Song als "Das war eine schöne Party" bekannt.
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Später sang sie mit dem Serge Gainsbourg "Les Sucettes" ("Die Lutscher") und verstand damals noch nicht, dass Gainsbourg eigentlich einen Text schrieb, der über Oralverkehr handelte.
Ein paar Jahre lang sang sie sogar Lieder auf Deutsch, bevor sie nach einer langen Pause 1988 mit "Ella elle l'a" ("Ella, sie hat es") auf Platz 1 der Charts ging und so ihren erfolgreichsten Hit in Deutschland hatte, er war sogar erfolgreicher als in ihrem Heimatland.
Das Lied war eine Hommage an die Grande Dame des Jazz, Ella Fitzgerald. Zwar nicht gerade ein Mainstreamthema, wurde der Song vielleicht wegen der Eingängigkeit durch die Uh-uh-uh-uuuhs so gerne gekauft.

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Genauso unkompliziert geht es musikalisch beim Popsong "Alors On Danse" zu, wird doch gerade im Refrain nichts Anderes als der Titel gebetsmühlenartig widerholt, auch wenn die drei Worte unterschiedlich empathisch aus Stromaes "bouche" ("Mund") eher nölig herauskommen. Gröhlsicher ist das auf Partys aber auf jeden Fall. In diesen paar Minuten des Songs wird musikalisch kein Rad neu erfunden. "Alors On Danse" klingt im Vergleich zu anderen zeitgenössischen R'n'B- und Pop-Produktionen geradezu amateurhaft und günstig gemacht. Mag sein, dass das Bodenständige an der Produktion dieses Tracks so fasziniert...
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Könnten auch andere Faktoren für den vielfachen Kauf der ersten Single dieses Newcomers ausschlaggebend gewesen sein? Für "Alors On Danse" wurde nicht aufwändig auf die Promo-Trommeln gehauen. Es war kein Titelsong eines Films (wie z.B. Keri Hilsons "I Like") und wurde auch nicht für einen Werbespot als musikalische Untermalung benutzt (z.B. "Neopolitan Dreams" von Lisa Mitchell im Telekom-Spot). "Alors On Danse" kam sogar ohne ein Großevent aus ("Auf zur Ruhr" von Grönemeyer oder "Jungle Drum" von Emilíana Torrini profitierten von der Kulturhaupstadt Ruhr 2010, bzw. vom Finale von Heidi Klums deutschen Topmodel-Internat).
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Nein, das Musikvideo zu "Alors On Danse" wurde ganz normal von MTV und VIVA in deren Playlists hinzugefügt und entwickelte sich trotz des No-Name-Status zum allmählichen Hit:
Ein von Stromae verkörperter Büroarbeiter verlässt nach Feierabend erschöpft seinen Arbeitsplatz. Dieser verliert auf dem Weg nach Hause (?) irgendwelchen zu erledigenden Papierkram und auch sein Sakko. Nachdem er von der Mutter seines gemeinsamen Sohnes eine Backpfeife geschenkt kriegt, wird er von einer fröhlichen Saufnase, vielleicht einem Kumpel, vor einer Kneipe abgefangen und reingezerrt. Darin muss der Arme jegliche Torturen aushalten, die mit dem Feiern zu tun haben, während er immer müder wird und die Spelunke immer voller.

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Stromae, der mit bürgerlichem Namen Paul Van Haver heißt und Stromae ein Verlan (eine für die französische Umgangssprache so typische Silbenumdrehung) des Wortes "maestro" darstellt, spielt diesen von der 40-Stunden-Woche geplagten Kerl zwar etwas unauthentisch, kommt damit aber bei den Plattenkäufern anscheinend gut an.
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Denn wenn man sich alle fünf Sekunden die Augen reibt, ein bisschen gähnt und am Ende umfällt, um auf die Todmüdigkeit hinzuweisen, ist das nicht genug. Aber nicht jeder Musiker ist auch gleichzeitig ein Schauspieler. Dennoch passen müde schauspielern und müde sprechsingen gut zusammen, man kann sich wohl gut mit dieser in den Lyrics beschriebenen Alltäglichkeit gut identifizieren.

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Die deutschen Singlecharts, also die hierarchische Liste der bestverkauften Einzelsongs, war schon immer sehr stark anglophon ausgerichtet, seit den 00er-Jahren auch zu einem gewissen Anteil germanophon. Will sagen, außer englisch- und deutschsprachigen Singles bleibt besonders in den oberen Regionen der Erfolgsleiter kaum Platz für Songs in Dritt-, Viert-, Fünft- oder Fremdsprachen.
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Okay, gut, ab und zu wird diese Regel durch nicht-englischsprachige Überraschungserfolge gebrochen. Ich denke da an Shakira feat. Alejandro Sanz mit "La Tortura" (Spanisch), an O-Zone mit "Dragostae Din Tei" (Moldawisch), Tiziano Ferros "Perdono" (Italienisch) oder an "Simarik" von Tarkan (Türkisch). Aber solche Ausnahmen bestätigen dennoch die Regel.
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Ansonsten kommen Hit(s) habende Bands und KünstlerInnen manchmal nicht aus Großbritannien, USA oder aus einem der amtsdeutschsprachigen Länder, sondern aus Belgien (Milow), Norwegen (wie zuletzt Marit Larsen), Schweden (Mando Diao), Finnland (The Rasmus), Dänemark (zuletzt Aura Dione), Russland (t.A.T.u.) oder Frankreich (David Guetta).
Aber all diese in Klammern stehenden Menschen und Bands singen eben auf Englisch, um international leichteres Spiel mit den Plattenverkäufen zu haben.

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Und weil man dies so oft macht, gibt es halt auch immer noch das schlimme, nach Ethno-Zeugs miefende CD-Regal World Music, das eher für Globalisierungskritiker, Neo-Hippies und Spezialisten denn für popbegeisterte Menschen eine Fundgrube darstellt.
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Aber natürlich lässt sich heutzutage dank des Internets auch fremdsprachige Musik finden, die nicht unbedingt schlecht ist. Youtube, Last.FM und WIKIPEDIA bieten bei der langwierigen Recherche oft Abhilfe.
So kann man auch auf Mucke aus Staaten stoßen, die bisher noch kaum als Exportländer für Unterhaltungsmusik galten. Man muss gar nicht mal gedanklich weit reisen. Wenn man an EU-Länder wie Polen, Zypern, Tschechien, Luxemburg oder Bulgarien denkt, fragt man sich, warum sich die Plattenfirmen nie die Mühe gemacht haben, ihre Bands herbeizuschiffen oder sie mal in anderen Ländern quasi probefahren zu lassen.
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