Dienstag, 6. April 2010

Phänomene der Popmusik Vol.3



Heute: Lena, Lena, Lena! – Frau Meyer-Landrut, die drei TOP-10-Singles und der USFO-Effekt.

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„Einfach total krass.“ (link!) Dies hat „Unser Star für Oslo“, Lena Mayer-Landrut, aus Freude und Verwunderung über ihren Sieg bei der oben genannten Raab-Castingshow verlauten lassen.
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Dieser Satz trifft aber nicht nur auf die demokratische Wahl Lenas zur deutschen Kandidatin bei dem Eurovision Song Contest 2010 in Oslo zu, sondern auch auf ihren Charts-Rekord. Denn diese Leistung hat allein sie hinbekommen:
Die drei von ihr gesungenen und extra für den europäischen Musikwettbewerb produzierten Songs schafften es eine Woche nach der Finalsendung prompt in die TOP5 der deutschen Singlecharts. Darunter sind „Love Me“, „Bee“ und der vom Publikum zum Contest-Song gewählte „Satellite“. Dies hat bisher keine Band und kein/e Solokünstler/in hinbekommen.
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Außerdem: Innerhalb von drei Tagen verkaufte sie mit „Satellite“ wie niemand so dermaßen viele Downloads und erhält nach nur einer Charts-Woche Gold. Und dann stieß Lenas „Satellite“ natürlich Stromaes „Alors On Danse“ von der Pole Position und ist nun bereits die zweite Woche in Folge auf Platz 1!
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Doch wie kommt es, dass sich alle drei Songs für die Charts qualifizieren konnten, obwohl nur das nach einem mäßig produzierten Super-RTL-Kinderlied klingende „Satellite“ als Hauptsingle gedacht war und die – meiner Meinung nach – gelungeneren Tracks „Love Me“ und „Bee“ zu für B-Seiten degradiert wurden?

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Bis zum Jahre 2007 wurden aus der Perspektive der Verkaufszählungs-Firma Media Control lediglich Singles, die als physische Tonträger verkauft wurden, als chartrelevant betrachtet. Aufgrund der seit Jahren sinkenden Verkäufe von CDs und der steigenden Download-Transaktionen legaler wie illegaler Musik schritt man zugunsten der Musiker und Musikindustrievertreter ein. Seit 2007 werden nun auch Downloads von Alben und einzelnen Songs als Singles gezählt, natürlich nur die legalen.
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Der Haken ist jedoch, dass auch gleichzeitig die Art, aus Verkäufen solche Hitlisten zu erstellen, sich geändert hat. Nun entscheidet nicht mehr die Anzahl der CDs und Downloads über den jeweiligen Rang in den Charts, sondern nur noch der Umsatz. Verkaufte Maxi-CDs werden – wegen des Preises von 2,99 bis 5,99 Euro, vielleicht auch wegen des bedrohten Aussterbens derer – höher bewertet als Downloads von Einzel-Songs (pro Stück ab ca. 0,79 Cent).
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Es kann z.B. sein, dass Band X 90,000-mal eine Single verkauft hat, Band Y jedoch 100,000 von ihrer Single. Weil aber Band X 70,000 Maxi-CDs (Singles) und 20,000 Downloads der A-Seite der Single unters Volk bringen konnnte, jedoch Band Y nur 30,000 CDs und 70,000 Downloads, ist chartstechnisch die Band X erfolgreicher. Der-/diejenige Künstler/in/Band, die innerhalb einer Woche am meisten erwirtschaftet hat, geht auf Platz 1.

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Bei Lena Meyer-Landrut war es aber wohl so, dass der andere geschmähte ESC-Songvorschlag „Bee“ für sich genommen so oft von den Menschen da draußen heruntergeladen wurde, dass der „Bee“-Umsatz, wie auch jener von „Love Me“ höher war als der Umsatz von beispielsweise Ke$has „Tik Tok“ (physischer UND digitaler Umsatz zusammen wohlgemerkt). „Bee“ ging in der Kalenderwoche 11 von 0 auf Platz 3, „Love Me“ machte sich auf Platz 4 gemütlich, noch vor anderen Platzhirschen wie Unheilig (Platz 5 in KW 11), Iyaz (Platz 8) und David Guetta featuring Kid CuDi (Platz 9) oder Platzhirschkühen wie Ke$ha (Platz 6) oder Cheryl Cole (Platz 7).
Um es noch mal zu wiederholen: Vor 2007 wären „Love Me“ und „Bee“ bekanntlich gar nicht erst in den Charts aufgetaucht.

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Und dann wäre in den TOP10 in der Kalenderwoche 11 noch Jennifer Braun. Die USFO-Zweitplatzierte stieg in jener Woche mit „I Care For You“ neu auf Platz 10 ein. Die anderen Songvorschläge „Bee“ und „Satellite“ (wie bei Lena) schafften lediglich Platz 21, bzw. Platz 32. Dass auch diese sich in den Charts behaupten konnten, ist trotzdem bemerkenswert. Dass die Gewinnerin Lena Meyer-Landrut nicht nur in der Show, sondern auch in den Charts erfolgreicher war als die ihr unterlegene "Rockröhre", versteht sich aber von selbst.
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Mittlerweile ist aber wieder ein kommerzieller Abwärtstrend seitens Jennifer Brauns Vorschlagssongs festzustellen (von 10 auf 18, von 21 auf 51, von 32 gar auf 73). Und auch Lenas Version von "Bee" und auch "Love Me" fielen ein paar Plätze, ersteres auf Platz 6, letzteres auf Platz 8. Nur "Satellite" blieb standhaft auf Nummer 1.

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Aber nicht nur diese sechs Finalsongs („Satellite“ und „Bee“ jeweils mal zwei, „Love Me“ und „I Care For You) bei der Raab-Castingshow schafften den Charts-Einstieg. Auch die von den KandidatInnen interpretierten Originalsongs konnten sich während der TV-Existenz von „Deutschland sucht den Oslo-Star“ immer wieder mal für die Charts-Zählung qualifizieren: Der tolle Dauerbrenner „Heavy Cross“ von Gossip stieg dank und nach Jennifer Brauns Darbietung wieder viele Plätze auf. Florence + The Machine starteten dank großzügiger Promo durch Plattenfirma und vielleicht wegen der Interpretation der Fünftplatzierten Sharyman Osman durch – Platz 52 gab es bisher als höchste Wertung.
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Adele stieg durch Lenas Nachsingen der Non-Single „My Same“ (in der allerersten Ausscheidungsshow) in die deutschen Charts auf Platz 61 ein, ein Riesen-Erfolg für die Soul-Pop-Chanteuse Adele, die in Deutschland nahezu unbekannt ist, aber für Lena ein Idol darstellt.
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Lena ist auch Fan von Kate Nash, welche auch von Lena profitieren konnte. Nashs Single „Foundations“ (Lena hat’s in der vierten Ausscheidungsshow gesungen) ist nach zweieinhalb Jahren Charts-Abstinenz (Höchstposition 2007: Platz 37) wieder in den Charts, wenn auch nur in den unteren TOP50 vor sich hindümpelnd.
Über dieses Charts-Phänomen ist aber selbst Frau Nash eingeweiht, glaubt man dem SPIEGEL (link!). Kate Nash, mit der Lena so oft verglichen wird, könnte mit ihrem neuen Album und den dazu herausgekoppelten Singles in Deutschland nun wahrscheinlich den verdienten Durchbruch erlangen.
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Lisa Mitchell kam dank Lena hingegen das allererste Mal in die Charts. „Neopolitan Dreams“, auch einst von Lena gesungen, erreichte die TOP40 und bleibt im kollektiven deutschen Gedächtnis nun nicht nur als T-Mobile-Werbesong hängen.
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Außerdem sprang – wieder Lena sei dank – „New Shoes“ von Paolo Nutini in die D-Singlecharts. Und auch Jason Mraz‘ Song „Mr. Curiosity“ ging in der KW 10 von Null auf Platz 78, und in der KW 11 von 78 auf Platz 44. In der Kalenderwoche 12 fiel das Teil aber wieder. Auch dieser Song ist eine Non-Single, war nie eine reguläre Singleauskopplung von Mraz und stammt aus dessen vorletztem Album Mr. A-Z (2006).

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Bei Lena möchte man aufgrund der hohen Bekannt- und Beliebtheit gerne ihren Bindestrich-Nachnamen weglassen und sie als Fräuleinwunder betiteln, was unzählige Artikel mir bestimmt bereits vorweggenommen haben. Nahe liegt auch, sie unrechtmäßig als Fräulein Meyer-Landrut zu bezeichnen und sie mit Authentizitäts-Bewunderungs-Blabla zu spammen.
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Ich werde mich nur an die bloße Vornamen-Nennung halten und nur noch sagen:
Lena Meyer-Landrut ist eine wunderbare und wunderbar bescheidene junge Frau, die - anders als die gescheiterten ESC-Kandidaten der letzten Jahre nach Raabs Ex-Protégé Max Mutzke mit den Genres (Billig-)Pop, Country(-Pop), popeliger Pop-Rock und Swing hantierten - unpeinlich ist, ein angenehm undeutsches Image pflegt und den ungewohnten Charme einer Indie-Sängerin besitzt.
Sollte Lena den turmhohen Erwartungen der Medien in Bezug auf eine hohe Platzierung beim Eurovision Song Contest nicht standhalten, wäre das alles andere als tragisch. Wer die Mainstream-Leute und besonders die Indie-Meute gleichsam begeistern kann und mehrfach erfolgreich ist, der hat wirklich einiges geschafft!
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QUELLEN UND LINKS
MTV.de - Deutsche Single-Charts
mix1.de - Chartsarchiv
Musicline.de - Chartsverfolgung Lena Meyer-Landrut
LML auf Spiegel Online
Lenaismus - Spiegel-Online-Artikel von Tobias Rapp

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VIDEOS

Lena Meyer-Landrut - Satellite (OFFICIAL MUSIC VIDEO) from squirrel on Vimeo.



Lena Meyer-Landrut - Bee from squirrel on Vimeo.



Lena Meyer-Landrut - Love me from squirrel on Vimeo.



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