Samstag, 28. August 2010

13 Minuten Stress



Ausgangslage: du als Student sitzt gerade in der Universitätsbibliothek und willst an einem Montag Nachmittag von Würzburg aus zu deinen Eltern nach Kreuzwertheim heimfahren, was zwar für einen Montag ungewöhnlich ist (Donnerstage/Freitage/Samstage sind üblicher), aber du wegen deinen Eltern dennoch tust.
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Du hast nur noch sehr wenig Bargeld dabei, das Girokonto ist für einen abhebbaren 5-Euro-Schein zu sehr leergeräumt und musst trotzdem über die Summe von 3,50 Euro (mit Vorzeigen des Studentenausweises, sonst 5 Euro) verfügen, sonst kannst du nicht Bus fahren. Du hast keine günstigere Möglichkeit, nach Wertheim (nur dort ist die Endhaltestelle von Würzburg aus, egal ob Bus oder Bahn) zu kommen. Und du willst weder deine Mitbewohnerin wegen Geld bitten, weil du es bisher zweimal getan hast und immer ein schlechtes Gewissen dabei hattest, noch willst du deine Eltern per Telefon nochmal anbetteln, von ihnen extra für das Busticket nochmal einen Mini-Betrag überwiesen zu bekommen.
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Und du besitzt ein Prepaid-Handy, doch dein Guthaben ist alle. Du musstest ein paar Minuten zuvor deinen Vater via Telefonzelle im Bibliotheksgebäude anrufen, weil du den ersten Bus mit der Abfahrtszeit 14:33 Uhr verpasst hattest und du nun Bescheid sagen solltest, dass du den nachfolgenden Bus um 15:30 Uhr nehmen wirst, der dann exakt eine Stunde später in Wertheim angekommen sein wird. Doch von dem ganzen Geld - deinen Vater hast du aufs Handy angerufen, was nicht günstig ist - bleibt nicht mehr viel übrig, genauer gesagt, 3 Euro. Du kannst dich aber daran erinnern, dass du noch mindestens zwei Pfand-Einwegflaschen daheim hast, die du abgeben könntest, um wieder auf 3,50 Euro (Busticketpreis) zu kommen.
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Und dir bleibt überhaupt nicht mehr viel Zeit, um von der Bibliothek zu dir nach Hause zu kommen, um die Flaschen abzuholen, um diese wiederum in einem Supermarkt abzugeben, das Pfand zu kassieren und schnell zum Busbahnhof Würzburg zu gelangen. Was tun, wenn es jetzt gerade 14:52 Uhr ist?

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Ich habe die Buslinie 14 vor Augen, deren nächste Abfahrtszeit von der nächstgelegenen Haltestelle "Am Hubland" 15:05 Uhr beträgt. Ich mache mich spätestens um Punkt 15 Uhr auf, da man allerhöchstens in drei Minuten zu Fuß dorthin kommt, es aber wegen den bescheuerten Baustellen und Umwegen länger dauert. Ich beeile mich, denn man weiß ja nie. Ich komme pünktlich dort an, eine Minute später kommt der Bus angefahren.
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Ich steige ein und schaue quasi im Minutentakt auf meine Armbanduhr. Dank der Fahrpläne im Internet weiß ich, dass, wenn alles gut geht, ich um 15:17 Uhr an der Haltestelle "Stift Haug" ankomme, von dort aus ich in fast zwei Minuten daheim wäre. Gleichzeitig habe ich "15:30" im Kopf und schwitze aus Nervosität, da der Verkehr im Laufe der Busfahrt nicht ganz durchlässig ist.
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Ich steige tatsächlich um 15:17 Uhr aus und gehe schnell, anstatt zu rennen, in Richtung Wohnung. Ich will ja nicht als gestresster Chaot in der Öffentlichkeit auffallen. Es dauert nicht lange, bis ich da bin. Nachdem ich die Tür aufmache, renne ich mitsamt meinem Gepäck (Umhängetasche und vollgepackter Rucksack) nun doch, indem ich die vielen Treppen hochhaste. Es sind vier Stockwerke!!! Nach nicht mal einer Minute erreiche ich unsere Haustür. Ich schließe auf, laufe schnell in mein Zimmer und nehme die Stofftasche mit den insgesamt vier Pfandflaschen mit. Während ich das tue, sage ich zu meiner anwesenden Mitbewohnerin Chrissie nur: "Ich muss auch gleich wieder weiter!"

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Keine zwei Sekunden später stehe ich jenseits der Wohnung und laufe auch wieder die vielen Treppen herunter, mehr noch, ich überspringe viele Stufen. Ich jumpe sozusagen down. Unten angekommen laufe ich schnell zur gegenüber seienden Kupsch-Filiale. Ich bahne mir meinen Weg durch die paar Kunden in Richtung Pfandautomat. Es geht alles schnell, nach etwas mehr als einer Minute bekomme ich den Pfandbon ausgestellt. Keine Zeit verlieren, schnell zur Kasse!
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Doch, Mist, da stehen an beiden offenen Kassen jeweils mindestens vier Kunden. Typisch! Ich wippe wort- und hilflos mit meinen Füßen hin und her, während ich vor der mittellangen Schlange stehe. Es ist 15:23 Uhr. Oh nein, oh nein! Zeitraffer...es ist 15:27 Uhr, endlich draußen und um einen Euro reicher. Jetzt aber keine Zeit verlieren, ich gehe wieder schnell, diesmal ab zum Busbahnhof. Es ist mit all dem Gepäck und den vielen Passanten nicht einfach, durchzukommen, ohne wie ein von Zeit geraubter Mensch aufzufallen, was ich aber bin.
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Dann Ampel, und kurz vor Wegfahrt erreiche ich den gewünschten Bus nach Wertheim. Es ist genau halb 4. Die 3,50 Euro werden beim Busfahrer sofort verbraten, dann schnell einen Platz ausgesucht, denn sogleich fährt der Bus, der keine Gnade kennt, was Zuspätkommer angeht. Mann, was für ein Glück. Und aus dem gestressten Sray wird ein heftig schwitzender Sray, der glücklich und erleichtert ist.
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1 Kommentar:

Leo hat gesagt…

kann mir jeden moment genau vorstellen. großartig!